Warum Männer einen Mann zum Reden brauchen
Warum Männer einen Mann zum Reden brauchen
von Dr. Richard Schneebauer
„Ein offenes und wertschätzendes Gespräch unter Männern ist wie Rock ´n´ Roll. Kraftvoll und emotional berührt es dich tief in deiner Seele.“
Als ich vor knapp 20 Jahren in der Männerberatung begonnen habe, musste ich in den Gesprächen und in der Fachliteratur erschrocken feststellen, dass etwa 80% der erwachsenen Männer keinen besten Freund haben, also einen Mann, dem sie erzählen wie es ihnen wirklich geht. Kannst du dich anderen Männern anvertrauen mit dem, was gerade in dir vorgeht, oder sprichst du lieber mit Frauen oder gar nicht darüber?
Etwas mehr an Tiefgang war mir in Gesprächen gefühlt immer schon wichtig. Selbst als sich cool gebender Jugendlicher wollte ich irgendwie mehr als bloß doof daherreden. Dass das gar nicht so einfach ist und wie man das richtig angeht, erlebte ich später bei meinen Kollegen in der Männerberatung oder in Ausbildungen. Manchmal hatte ich dabei den Eindruck, dass selbst das Sich Öffnen zu einer wer kann es am Besten Männerchallange verkommen kann und nicht immer ganz authentisch sondern eben gelernt daherkam. Dennoch: Ich übte mich darin immer mehr mit Männern offen zu sprechen. Das Weichei-Gefühl hintennach wurde zunehmend weniger, die Erfahrung wie gut es mir und dem Gegenüber tat überwog ganz klar. Auch einige meiner guten alten Freuden mussten mit und fanden nach und nach Gefallen an dieser Art der Begegnung.
Besonders bereichernd finde ich die Kombination aus klassisch männlichem gemeinsam etwas Tun und offenen und wertschätzenden Gesprächen. Wenn ich meinen Bandkumpels einfach erzählen kann, was bei mir los ist und sie mich auch an ihrem (Innen)Leben teilhaben lassen, wir dann die Instrumente schnappen und musikalisch loslegen, dann ist das eine ganz besondere Verbundenheit und Power.
Derlei Aktivitäten gibt es viele, jeder hat so seine Vorlieben und ich bemerke, dass bei immer mehr Männern nach und nach das Bewusstsein für gemeinsame Zeiten nur unter Männern wächst, die nicht nur kräftemessend, sinnentleert und alkoholschwanger daherkommen.
Das merkt man ja auch bei der MALEvolution. Es werden immer mehr Männer, die sich dafür interessieren, was hier und bei den Veranstaltungen so abgeht und die offen und bereit für echte Begegnungen unter Männern sind.
Fakt ist, dass auch wir Männer intensive Freundschaften für ein glückliches und erfülltes Leben brauchen und dass wir zu wenig davon haben.
Aber warum brauchen wir Männer nun eigentlich einen Mann zum Reden?
Männer reden doch ohnehin (manchmal :-)) mit ihrer Partnerin, oder mit einer sog. guten Freundin?
Andere behaupten, dass sie sehr wohl mit ihren Kumpels alles bereden und stellen meine Erfahrung der 80 % in Frage. Zumeist kommen sie aber auf Nachfrage dann doch drauf, dass viele ihrer Gespräche mit richtiger Offenheit nichts zu tun haben. Zu schimpfen, wie blöd der Chef oder die Ex-Frau ist und wie beschissen es einem dadurch geht, hat mit dem was tatsächlich innen drinnen los ist, noch nicht viel zu tun. Noch schlimmer die „Ich bin das Opfer“-Jammerei, die – als Offenheit getarnt – einem Energien über den Kopf kippt, die nun wirklich keiner braucht. Natürlich kennt das jeder, als Sender oder Empfänger. Aber davon gilt es sich eben genauso zu befreien wie vom männlichen Gar-Nichts-Rauslassen und aus Angst vor weiteren Verletzungen sich nur mehr hinter einem immer größer werdenden Schutzschild zu verstecken.
Warum also brauchen Männer einen Mann zum Reden?
Selbst wenn wir uns Frauen gegenüber öffnen können und dafür keinen mitleidigen Blick oder mütterliches Verständnis, sondern Respekt und Mitgefühl ernten und das Gefühl „du bist als Mann so OK“, fehlt uns zu eigener echter Stärke dieses Erlebnis unter Männern und so zweifeln wir weiterhin an unserer Männlichkeit.
Schaffen wir es, uns offen und echt auf eine Frau einzulassen, sind wir ohne echte Herzensfreunde abhängig von der Liebe und Zuneigung dieser Frau, da sie dann oft die einzige ist, zu der eine innige Herzensbeziehung besteht, die zu einem durchkommt, wie im Song von Bob Dylan „The Man in me“ wenn er singt: „It takes a woman like you, to get through, to the man in me“.
Diese Abhängigkeit von Frauen auf der Gefühlsebene ist bei den allermeisten Männern sehr stark und die wohl größte Angst vieler Männer ist jene vor der eigenen Liebe zu einer Frau, da sie dann oft dienend werden und damit unfrei und das obwohl sie auf Basis ihrer tiefsten Männlichkeit zum Pol der (inneren) Freiheit streben sollten. Sie werden zu Gefangenen ihrer eigenen Lieben, kommen ins Versorgen, Machen und Tun, um sich diese Liebe weiterhin sichern zu können. Oft lassen sich Männer gar nicht mehr darauf ein oder flüchten nach einiger Zeit innerlich oder tatsächlich, weil sie diese vermeintliche Gefangenschaft nicht wirklich ertragen können.
Um Frauen leichter und besser lieben zu können, braucht es – so bin ich überzeugt – die Begegnungen, das offene und wertschätzende Gespräch, den echten Austausch unter Männern. Insofern habe ich Bob Dylans Song-Text verändert, hier nur ein kleiner Auszug: „It takes friends like you, to break through, to the man in me, to bring all out, and make me a better loving man“.
Natürlich ist das nur eine von vielen möglichen Antworten auf die oben gestellte Frage; dass offene und wertschätzende Begegnungen mit anderen Männern uns in vielerlei Hinsicht für sämtliche Aspekte eines Lebens stärken, ist vielleicht schon klar geworden.
Aus meiner beruflichen und auch aus persönlicher Erfahrung weiß ich allerdings, dass gerade in Beziehungen zu Frauen das Erleben eines offenen und konkurrenzfreien Austauschs unter Männern von unschätzbarem Wert ist.
Dass wir dadurch auch bessere Liebhaber werden, weil wir von innen heraus kräftig und entspannt agieren können, dass wir als Väter gestärkt oder als Kollege oder Führungskraft erwachsener und mittiger agieren können, sind nur einige wenige Aspekte, die zu mehr Lebendigkeit, zu Lebensfreude und Glück führen, dann nämlich, wenn wir auch die Schattenseiten des Lebens – ohne die wir nicht wachsen können – mit anderen Männern konkurrenzfrei teilen können.
Ich wünsche Euch und mir noch viele dieser Begegnungen, freue mich auf die nächste Konferenz in Berlin.
In männlicher Verbundenheit,
Richard Schneebauer