Porträtfoto von Gerald Hüther

Männer – was nun?

Ganz unter uns gesagt, liebe Männer: 

Es sieht nicht gut aus. Der Wind hat sich gedreht und der Boden, auf dem unsere Väter und Großväter noch einigermaßen stehen konnten, ist schneller ins Rutschen gekommen als sie das je hätten ahnen können. „Was Männer für eine Kultur nützlich macht, ist ihre Entbehrlichkeit“, schreibt uns heute unser Geschlechtsgenosse R. F. Baumeister, einer der renommiertesten Sozialpsychologen ins eigene Stammbuch, das den bezeichnenden Titel trägt: „Is there anything good about men?“ Und wenn der inzwischen 70-jährige Jack Nicholson glaubt sich erinnern zu können, er habe 5000 Kinder gezeugt, so wird die Sache dadurch keineswegs besser. Das alte Imponiergehabe aussterbender Don Juans zieht nicht mehr, und die selbsternannten Alphamännchen der gegenwärtigen Männerwelt verschleißen sich in einer immer hektischer werdenden Betriebsamkeit beim Kampf um die ersten Plätze auf der Rangliste der Cleversten, Schnellsten, Besten und für alles Zuständigen. In der öffentlichen Meinung haben die miteinander konkurrierenden Männer das Rennen ja ohnehin schon längst verloren. „Frauen sind toll, Männer sind, na ja … eben irgendwie nicht mitgekommen.“

Die beliebteste Erklärungsformel dafür, dass Männer so sind, wie sie sind – und auch in Zukunft so bleiben werden, wie sie schon immer waren – lieferten bisher die Evolutionsbiologen: Es liegt an den egoistischen Genen, die Männer auf maximalen Reproduktionserfolg a la Jack Nicholson programmieren. Wer dieser Argumentation nicht so recht zu folgen bereit ist, dem liefern die Neurobiologen mit Hilfe ihrer beeindruckenden Flackerbilder vom menschlichen Hirn eine scheinbar ebenso einleuchtende Erklärung: Männer haben ein anderes Gehirn als Frauen, und es funktioniert auch anders. Sie können damit – im statistischen Mittel – besser abstrakt denken und rückwärts einparken, aber dafür fehlt es ihnen an Einfühlungsvermögen und an der Fähigkeit, vernetzt zu denken. Zur Deeskalation sozialer Konflikte sind sie mit ihrem Hirn kaum in der Lage. Wer sich weder auf die Erklärung der Evolutionsbiologen noch auf die der Neurobiologen einlassen will, mag Gefallen an der Vorstellung finden, Männer kämen vom Mars, Frauen von der Venus.

Das gemeinsame Merkmal all dieser Erklärungsversuche besteht nur leider darin, dass sie in Wirklichkeit überhaupt nichts erklären. Sie beschreiben lediglich auf verschiedene Weise und mit unterschiedlichen Ansätzen genau das Phänomen, das ja ohnehin hinreichend bekannt ist: Männer sind keine Frauen. Männer sind anders, und Frauen eben auch. Manchmal passen ein Mann und eine Frau zusammen und manchmal nicht. Manchmal freut man sich darüber, ein Mann zu sein, manchmal ist es einfach nur beschämend. Und immer ist es schwer zu ertragen, als Mann mit allen anderen Männern, womöglich sogar noch mit denen aus der Steinzeit, in einen Topf geworfen zu werden.

Wenn Frauen sich auf den Weg machen, werden auch wir Männer langsam aufwachen müssen. Viele sind ja schon dabei, aus den alten Denkmustern- und übernommenen Rollen auszubrechen und nach einem neuen Verständnis dessen zu suchen, was es heutzutage bedeuten könnte, ein Mann zu sein. Zeitlebens ist es auch Männern möglich, die eingefahrenen Muster ihres Denkens, Fühlens und Handelns zu verlassen und sich neue Verschaltungen ins Hirn zu bauen. Vorausgesetzt, man(n) möchte das, man(n) findet das wichtig und man(n) kann sich dafür begeistern. Das allerdings wird erst dann passieren, wenn Frauen, und zwar möglichst viele Frauen auch wirklich andere Männer wollen. Bisher ist allerdings das wichtigste Kriterium nach dem sich Frauen in allen Kulturen noch immer ihre Männer aussuchen, deren sozialer Status, also Geld, Macht, Ansehen und Einfluss. Was bleibt Männern, wenn sie diese Attraktivitätskriterien erfüllen wollen, anderes übrig, als all diesen Blödsinn fortzusetzen, der auch bisher schon ihr Leben bestimmt hat: sich durchzuboxen, Karriere zu machen, Reichtum anzuhäufen und sich über alles hinwegzusetzen, was dabei stört? Das Gehirn, auch das männliche, wird so, wie und wofür man(n) es zur Lösung der im Leben vorgefundenen Probleme und Schwierigkeiten benutzt. Und die größten Probleme haben wir Männer nicht deshalb, weil es immer wieder Schwierigkeiten im Leben gibt, sondern weil wir mit Vorstellungen, Erwartungen und eigenen Ansprüchen umherlaufen, die einfach nicht zu dem passen, was uns da draußen, im Leben, begegnet. Aber wir könnten ja auch unsere bisherigen Vorstellungen und Erwartungen verändern. Wir könnten uns auch für etwas anderes als für die alten Rollenspiele begeistern. Aber dazu müsste uns dann auch endlich etwas anderes bedeutsamer und wichtiger erscheinen als unser sozialer Status, als die Aneignung von Macht und Verteidigung übernommener Privilegien und Selbstbilder. Dazu aber bräuchten wir Männer freilich auch andere Frauen. Solche, die uns nicht nur zeigen, dass sie alles, was wir für unser eigenes Selbstverständnis bisher für entscheidend gehalten haben, genau so gut oder sogar noch besser können als wir. Wir bräuchten Frauen, die Lust darauf haben, gemeinsam mit uns danach suchen, was im Leben eigentlich bedeutsam ist, worauf es in unserer gegenwärtigen Welt wirklich ankommt. Deshalb kann es in Zukunft nicht mehr um die Frage gehen, ob nun Frauen oder Männer die besseren Menschen sind und wer von beiden günstigere Voraussetzungen für die Bewältigung dieser großen Transformation mitbringt, die sich in all den gegenwärtigen Krisen unserer bisherigen Lebenswelt ankündigt.

Diese Transformation wird sich nicht im Wettstreit zwischen Männern und Frauen vollziehen. Sie wird nur gelingen, indem beide Geschlechter ihre in ihren jeweiligen unterschiedlichen Lebenswelten gemachten Erfahrungen zusammenführen, wenn wir einander also einladen, ermutigen und inspirieren, neue, andere, bessere Erfahrungen im Zusammenleben miteinander und bei der Lösung unserer gemeinsamen Probleme zu machen.

Über den Autor
  • Gerald Hüther

    Prof. Dr. Gerald Hüther ist Neurobiologe, Autor, Wissenschaftler und zählt zu den bekanntesten Hirnforschern Deutschlands. Praktisch befasst er sich im Rahmen verschiedener Initiativen und Projekte mit neurobiologischer Präventionsforschung. Er schreibt Sachbücher, hält Vorträge, organisiert Kongresse, arbeitet als Berater für Politiker und Unternehmer und ist häufiger Gesprächsgast in Rundfunk und Fernsehen. So ist er Wissensvermittler und -Umsetzer in einer Person. In seiner Öffentlichkeitsarbeit geht es ihm um die Verbreitung und Umsetzung von Erkenntnissen aus der modernen Hirnforschung. Er versteht sich als „Brückenbauer“ zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlicher bzw. individueller Lebenspraxis. Ziel seiner Aktivitäten ist die Schaffung günstigerer Voraussetzungen für die Entfaltung menschlicher Potenziale.

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